Bericht

Aus dem Gesprächslabor: Die Sache mit dem Moped

Die Kommunikation unter dem Mikroskop: Wie wichtig es ist, Dinge auszusprechen.
Dr. Marcel Chahrour

Manchmal kann man fühlen, dass sich jemand geniert, auch wenn man ihn gar nicht kennt. Und man kann miteinander reden, ohne es wirklich zu tun. Mit Martin und seinem Moped war das so eine Sache. 

Irgendwo im Mostviertel, vielleicht vor zwanzig Jahren? Ich stelle mir die kleine Stadt Wieselburg vor, oder Scheibbs. Große Lastwagen, fast noch größere Traktoren. Zwischen den Orten Wälder und Felder, malerische Bäche und reißende Flüsse. Und bei einem Bankerl Martin mit seinem Moped. 

„Wir waren mit Freunden unterwegs. Ich bin mit meiner Freundin Kathi mit dem Moped weg, rein in die Stadt. Wir sind immer schnell unterwegs gewesen, wie es halt so ist mit 16 oder so. Bei der Kreuzung auf der Hauptstraße hab‘ ich mich vor einem Fahrzeug eingebremst. Die Kathi hat eine Bananenschale hinter sich geschmissen, genau auf das Auto. Bei grün sind wir dann weg, so schnell es halt ging. Noch vor dem Ortsende überholt mich ein Auto, bringt mich fast zum Stürzen. Ich brems mich ein, zeige ihm den Mittelfinger und schrei du Oasch, dann fahr ich weiter. Bei der nächsten Kreuzung beginnt das Spiel von neuem. Vielleicht einen oder zwei Kilometer nach dem Ort zwingt er mich auf das Bankett und zum Stehen bleiben. Hüpft raus und fragt, warum wir das gemacht haben. Ich start' an, will weg, schaff's aber nicht, er zieht an meiner Jacke und reißt mich fast runter. Ihr glaubt’s ihr seid's super gescheit, schreit er, dann springt er ins Auto und fährt weg.“

Unter dem Mikroskop

Das Moped-Gleichnis

Martins Geschichte ist nicht aus unserem Postkasterl. Die hat er mir selber erzählt, in der Tonalität. Ich habe mir zuerst gedacht: Wo ist da das Kommunikationsproblem? Die haben ja nichtmal miteinander geredet. Aber dann hat mich die Geschichte interessiert. Weil man ja auch miteinander kommunizieren kann, ohne zu sprechen. 

Und die Sprachlosigkeit von Martins Beispiel ist mir nicht aus dem Kopf gegangen. Zum Glück war ich mit meinem Interesse an dem Thema nicht allein. Eine zweite Klasse einer BAFEP aus Niederösterreich fand das nämlich auch ganz spannend. Und aus Martins Moped ist für mich ein Gleichnis geworden. 

Die Last des Ungesagten

Im Gesprächslabor wird nicht nur geredet. Wir grooven uns zuerst ein bisserl ein. Nehmen Rollen ein, erproben unser blindes Verständnis und ordnen uns selbst mit unserem Kommunikationsverhalten ein. Da ist, das kann ich versprechen, auch viel Bewegung drin. 

Bei Martins Moped war es aber irgendwie anders. Mit der BAFEP ist es nämlich so: Das sind junge Leute, die sich auf die Arbeit als Elementarpädagoginnen vorbereiten. Auf den Mund gefallen sind die nicht. Auch wenn’s ums nicht Gesagte geht. Die BAFEP und ich, wir haben also über alles recht lange diskutiert. 

Die Sache mit dem Martin war mir zuerst recht klar. Martin hat einen Fehler gemacht, es gab Streit, trotzdem ist eigentlich nix passiert. So what? 
Ein Mädel hat das aber ganz anders gesehen. Warum hat er dir das überhaupt erzählt, hat sie mich gefragt. Die Antwort konnte ich mir selbst geben. Weil es ihn beschäftigt hat. Aber warum? Das hat dann uns beschäftigt. 
 

Konflikte auflösen

Da war zunächst die Sprachlosigkeit des Konflikts. Martin beleidigt und provoziert jemanden. Dem Konflikt der unweigerlich folgt, weicht er aus. Der Schreck sitzt ihm trotzdem in den Gliedern, als es passiert. Zu einem Gespräch kam es eigentlich nicht. 

„Die hätten miteinander reden sollen“, sagt eine aus der Klasse in der Diskussion, als es gerade hoch hergeht. „Wenn ich mit meiner Mutter Zoff hab, dann müssma das halt ausreden“. Da hat sie recht. „Und wenn’st das nicht machst, dann bleibst‘ halt ewig am Moped sitzen“. Bamm, genau so schaut‘ aus, hab ich mir gedacht. 

Wer sich’s nicht ausreden kann, der bleibt sein Leben lang am Moped sitzen. Weil, dass er einen Fehler gemacht hat, hat der Martin gewusst. Wahrscheinlich hätte er sich gern entschuldigt, oder zumindest gesagt, wie er es gesehen hat. Aber das hat er nicht geschafft. Und deshalb ist die Sache offen geblieben. Und das ist nie gut. Da waren wir uns am Ende einig, die BAFEP und ich. Und wir haben uns vorgenommen, die Sachen immer auszureden. Auch wenn’s unangenehm ist.